«Andreas, du hast ein grosses Herz». Ich habe diesen Satz in den letzten Jahren oft gehört. Ein wohltuendes Kompliment, das mein Unbewusstes vielleicht allzu wörtlich genommen hat. Besonders meine Herzschlagader ist in den vergangenen Tanzjahren so gross geworden, dass es lebensgefährlich wurde. Ich habe es nur bemerkt, weil mich meine Königin Anina in vielen Kuschelstunden auf mein stark pochendes und manchmal stolperndes Herz gehört hat und mir zu einer Vorsorgeuntersuchung geraten hat. Seit der genauen Herzuntersuchung vergangener Woche weiss ich, dass sie mir damit womöglich mein Leben gerettet hat. Ich war völlig sprachlos, als mir der Arzt mit sehr besorgter Miene auf einem CT-Bild zeigte, was mit meinem Herzen los war. Die aufsteigende Herzaorta war wie ein kleiner Ballon derart vergrössert, dass schon seit einiger Zeit die akute Gefahr eines Risses in der Arterienwand bestand. Eine wahrscheinlich vererbte Bindegewebsschwäche und ein erhöhter Blutdruck waren die Ursache dafür. «Sie tanzen auf einer Zeitbombe». meinte der Arzt etwas lakonisch. «Wenn ihre Aorta platzt, verblutet der Körper innerlich innerhalb weniger Minuten.» Er hat mir sofort jede Art von Tätigkeit untersagt, die meinen Blutdruck zu sehr in die Höhe treiben würde. Am Montag, 17. Oktober wird mir nun in einer aufwändigen Herz-Operation eine neue Aorta eingesetzt. Was mich dabei besonders aufwühlt: Mein Brustkorb wird aufgeschnitten und das Herz für einige Stunden «still gelegt», um daran arbeiten zu können, während eine Herz- Lungen-Maschine alle lebensnotwendigen Funktionen übernimmt. Ohne mein schlagendes Herz wird’s still im Körper. Fühlt sich für mich als Rhythmus-Mensch so an, als würde ich schon mal den letzten Tanz mit dem Tod ausprobieren.
Seit dieser Nachricht befinde ich mich in einer Kochwäsche unterschiedlichster Gefühle: Neben einer schockartigen Lähmung, Schmerz, Angst, viel Trauer taucht unvermittelt immer wieder eine tiefe Freude über das Leben auf, das ich noch geniessen darf. Ich komme mir wie ein dünner Grashalm vor, der den heftigsten Stürmen und Regen ausgesetzt ist. Es mag ihn umknicken, aber wie durch ein Wunder steht er wieder auf und wächst einfach weiter. Gerade weil dieser Tanz zwischen Leben und Tod so verletzlich und brüchig ist, ist er auf eine geheimnisvolle Weise so kostbar, einzigartig schön und voller überraschender Lebendigkeit. Alles was meine Augen sehen, wird irgendwann verschwinden. Nichts wird mehr sein, wie es jetzt ist. Alles verwelkt, stirbt und zerfällt zu Staub. Und genau deswegen erscheint mir alles was lebt wie ein Wunder. Woher kommt diese unglaubliche Überlebenskraft, die alles so lebendig macht? Ich werde es wohl nie verstehen, aber es ist, als ob sich die Welt von einem ewig grauen Schleier befreien würde und alles in bunten und lebendigen Farben leuchtet. Die waren immer schon da, aber durch ein immer gleiches Alltagsdenken verdunkelt. Manchmal zerreisst es mich innerlich fast in dieser seltsamen Mischung von Trauer, unglaublich tiefer, innerlicher Freude und kindlichem Staunen.
Was mich jedoch besonders berührt: Ich erlebe eine Welle von Anteilnahme und Mitgefühl von Freunden und TänzerInnen, die mich zu Tränen rührt. Da gibt es viele Menschen, die für mich tanzen, beten, Kerzen und ganze Feuer entzünden oder während meiner Operation meditieren. Besonders mein Frau Anina überschüttet mich mit soviel Liebe, was mich oft nur noch sprachlos werden lässt. Es ist, als ob ich in einem Meer von Liebe baden dürfte. Und die lässt mich in all der Trauer so glücklich und lebendig werden. Diese Woche haben wir gemeinsam auf unserem Beckihof einen Maulbeerbaum für die Liebe, für meine Genesung und für eine blühende Zukunft gepflanzt.

Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.
Martin Luther
Ich kann nicht sagen, ob, wann und wie ich wieder tanzen und springen kann. Mein physisches Herz wird in einem «kleineren Rahmen» sicherer schlagen als vorher. Und vielleicht werde ich mich nicht mehr so verrückt bewegen wie früher. Aber mein Körper hat auch in grosser Lebensgefahr für mich getanzt und will es weiter tun. Und mein Herzblut will in einer gefestigten Herzschlagader voll für meine geliebten 5Rhythmen und das Tanzen weiter mit Euch fliessen. Ich rechne fest damit, ab Mitte Dezember zu meinem geliebten Weihnachtsworkshop «Im Feuer der Stille» wieder auf der Schweibenalp tanzen und leiten zu dürfen.
Ich werde dann nicht mehr der Gleiche sein. Das erfüllt mich mit Trauer und Freude zugleich. Und wenn wir uns tanzend wiedersehen sollten, dann werden auch unsere Begegnungen anders sein als sonst.
Die einzige Konstante ist die Veränderung.
GottseiDank.
Mit den fallenden Herbstblättern wirbeln meine besten Tanzgrüsse zu dir.
Andreas