Wirklichkeiten

Zwei in entgegen gesetzter Richtung zeigende Wegweiser sind beschriftet mit Illusoria und der Andere mit Reality

Es gab in der menschlichen Geschichte keine Zeit, in der wir mit derart radikalen und atemberaubenden Veränderungen konfrontiert werden wie heute. Vor unseren Augen zerbröckeln altehrwürdige Institutionen wie Politik, Schule, Ehe, Religion, Militär, Finanzwelt oder Nationen, die uns jahrhundertelang Sicherheit versprochen haben. Wir erschaffen virtuelle Welten, in der die meisten Mühe haben, deren ganze Komplexität überhaupt noch zu verstehen. Oft habe ich das dumpfe Gefühl, dass wir in unserem Umgang mit unserer Umwelt, der Schere zwischen Arm und Reich oder den Millionen von Flüchtlingen wie mit Vollgas gegen eine Wand rasen.

Niemand kann mehr ein wirklich Erfolg versprechendes Rezept für die Bewältigung all dieser Aufgaben geben. Es scheint, als ob wir kollektiv einen Schritt in völlig unbekanntes Neuland gehen müssen, in dem wir gefordert sind, all unsere Urteile und Glaubenssätze aufzugeben, wie die anderen oder die Welt sein sollten. Es fühlt sich an wie ein Sterben unserer bisherigen Identität und dem, was wir bisher als sinnvoll und richtig angesehen haben. Je verrückter und aussichtsloser die bisherige Welt und ihre Lage zu werden scheint, desto grösser ist die Chance, dass wir tatsächlich auch kollektiv einen unmöglich zu scheinenden Schritt in eine neue Zukunft wagen, in der wir die Macht nicht mehr in die Hände von einigen Politikern, Religionsführern oder Finanzakteuren legen. Wir selbst können die Welt verändern, indem wir sie aus einer ganz anderen Perspektive wahrnehmen.

Dazu braucht es eine neue Generation von furchtlosen Menschen, die diesen Schritt in eine unbekannte Wirklichkeit wagt, indem sie diese aus einer ganz anderen Perspektive wahrnimmt. Es braucht Pioniere – ich nenne sie „spirituelle KriegerInnen“ – die sich nicht mehr schützen oder verteidigen müssen, sondern den Mut haben, ihre eigene Angst und Verletzlichkeit zu spüren. Sie verstecken nichts mehr, sind radikal ehrlich mit sich selbst und den anderen und haben den Mut verletzt oder verurteilt zu werden. Sie empfinden tiefstes Mitgefühl mit leidenden Wesen und entdecken ihr Glück im gegenseitigen Heilen und Unterstützen anstatt in materiellem Besitz oder Sicherheit. Sie haben keine Angst zu leiden oder zu sterben, wenn es um eine Sache geht, die grösser ist, als sie selbst. Sie sehen, dass der Tod nur ein Übergang in ein neues Leben ist und leben deshalb furchtlos das Leben, das sie gerade jetzt haben.

Meine grösste Freude entdecke ich darin, diesen spirituellen Krieger in mir herauszukitzeln und in meinen Anlässen Räume zu schaffen, in denen wir gemeinsam wie auf einem Abenteuerspielplatz dieses neue Denken und Handeln ausprobieren können. Auch wenn sich meine Arbeit immer noch in einem kommerziellen Umfeld von Angebot und Nachfrage bewegt, spielt es dabei immer weniger eine Rolle, ob sie Erfolg hat oder was dabei finanziell rauskommt. Das macht auch mir Angst. Aber das Glück, das ich dabei im gegenseitigen Heilen, Unterstützen und im Mitgefühl für mich und die anderen erlebe, wird allmählich viel stärker als das Bedürfnis nach Sicherheit und Wohlstand.

Andreas Tröndle